Reisebericht aus Athen und Piräus
Am 24. Juni 2016 startete die erste Gruppe von ICOR-Flüchtlingsbeobachtern, darunter ich als REBELL, nach Griechenland. Wir wollten uns ein eigenes Bild von den Menschen in den Flüchtlingslagern und ihrer Lebenslage machen und die ICOR bekannt machen. Denn die ICOR steht für das Recht auf Flucht und ihre Mitgliedsorganisationen arbeiten praktisch weltweit zusammen, im Kampf für revolutionäre Veränderungen und gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Griechenland ist ein besonderer Brennpunkt. Hier kamen die meisten Flüchtlinge aus Richtung Türkei/Syrien/Afghanistan an, bis die EU mit Erdogan ihren menschenverachtenden und rassistischen Deal machte und die Balkanroute faktisch geschlossen wurde.
Am Samstag und Sonntag waren wir auf dem Resistance-festival der griechischen ICOR-Organisation KOE
Auf dem Begrüßungstreffen in Ambarisa, einem selbstorganisierten Sozialzentrum, trafen wir Delegationen aus 9 Ländern. Nach einer kurzen Begrüßung durch Mary von der KOE hielt Leila Khaled einen Begrüßungsbeitrag. Sie forderte besonders die Jugendlichen auf, um unsere Zukunft zu kämpfen. Sie ist Palästinenserin und seit Jahrzehnten aktiv im Kampf um die Freiheit Palästinas. Wie wir erfuhren, versuchte die zionistische Regierung Israels, ihre Einreise nach Griechenland mit allen Mitteln zu behindern. Der israelische Diplomat bedrohte sogar den Direktor der Agrarwissenschaftlichen Universität, auf deren Gelände das Festival stattfand.
Die in der Vorstellungsrunde von uns vorgestellte praktische Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf durch den Bau des ICOR-Gesundheitszentrums stieß auf großes Interesse. Ebenso das vom REBELL initiierte Rebellische Musikfestival, an dem von 1600 Teilnehmern immerhin 150 Flüchtlinge aus der nahe gelegenen Unterkunft waren. Schon während des Mittagessens wandte sich Dionysis an uns. Er erzählte uns, dass einer seiner Freunde jeden Tag im Hafen von Piräus Flüchtlingen aushilft und organisierte den Kontakt. In Gesprächen nach dem gemeinsamen Mittag berichteten uns Genossen der Red Party of Norway von ihrem Rojava-Solidaritätsprojekts. Sie wollen in Kobanê eine Fußballarena errichten und viele norwegische Fußballclubs zur Unterstützung gewinnen.
Piräus – freier Warenumschlag und festsitzende Flüchtlinge
Am Montagmorgen machten wir uns gemeinsam mit einem Genossen der Red Party of Norway auf den Weg nach Piräus. Man spürte, dass es ein anstrengender Tag wird. 35°C, keine Wolke am Himmel und viel zu hohe Ozonwerte schon am Morgen. Im Hafen befindet sich ein wildes Flüchtlingslager. Schon an der Einfahrt prangte „Refugees welcome“ in schwarzer Sprayfarbe. Wir mussten eine Weile suchen und erst nach längerer Busfahrt über das Gelände fanden wir das Lager. Es befindet sich weit draußen im Frachthafen. Der Anblick von Flüchtlingen wird von den kapitalistischen Hafenbetreibern wohl eher als Störfaktor gesehen. 67% des Hafens wurden zu Jahresanfang für 368,5 Mio. € an den chinesischen Investor COSCO verkauft. Im Gegenzug„verpflichtete“ er sich, 350 Mio. € zu investieren, um in Zukunft mehr Profit aus der Arbeit der Hafenarbeiter zu quetschen.
Kaum hatten wir das Lager gefunden und waren am Begrüßungszelt, kam auch schon die freudige Begrüßung: „Ah Ché Guevara, Kobanê, Kobanê“. Mein Ché-Shirt und der zum Kopftuch gewandelte Kurdenschal stieß bei den Jungs sofort auf Interesse. Im Gepäck hatten wir einen Flyer. Auf Englisch und Arabisch erklärte sich die ICOR solidarisch den Flüchtlingen und ihrem Recht auf Flucht. Spätestens, als sie erfuhren, dass ich im Oktober einen Monat lang in Kobanê war, und den Bau des ICOR-Gesundheitszentrums unterstütze, war das Eis endgültig gebrochen.
Die Lage der Menschen ist echt erschütternd. Wer Glück hat, konnte einen Zeltplatz unter der Autobahnbrücke ergattern. Alle anderen kampieren auf dem Parkplatz zwischen Autos. Der Freund von Dionysis und einer weiteren Helferin berichtete uns: Es waren mal 6000 Flüchtlinge, doch seit Mazedonien die Grenze geschlossen hat, sank ihre Zahl auf 2000. Immer noch zu viele für die EU-Imperialisten. Deshalb werden im Augenblick weiter draußen liegende feste Großzelte abgebaut, um sie noch weiter draußen wieder aufzubauen. Als ob die Flüchtlingskrise gelöst wäre, wenn die Menschen nur möglichst weit aus dem Blickfeld sind.
Unter der Autobahnbrücke kamen wir mit einer Gruppe Flüchtlinge ins Gespräch. Sie kamen ursprünglich aus Syrien, z.T aus Rojava, einige waren bereits längere Zeit in der Türkei. Gebrochenes Türkisch war unsere gemeinsame Sprache. Eine Frau erzählte uns, dass ihr Mann bei Bombardements in Syrien ums Leben gekommen ist. Von mehreren sind bereits seit Monaten Familienmitglieder in Deutschland, während sie hier festsitzen. Was hier betrieben wird, ist Familienspaltung, keine Zusammenführung, geschweige denn „Willkommenskultur“. Doch auch in dieser schlechten Lage ließen sich die Menschen ihre Gastfreundschaft nicht nehmen. Wir bekamen Stühle und Tetrapaks mit O-Saft. Einige Mädchen schienen gerade angefangen zu haben, die kurdische Flagge in Serie auf Papier zu malen. Überall, im Gesicht und auf den Händen … grün-rot-gelb.
Nach einer herzlichen Verabschiedung und der Überreichung einer ihrer frisch gemalten Flaggen, machten wir uns auf den Weg, das restliche Gelände zu erkunden. Die Menschen waschen sich in einfachen Containern. Gerade mal vier Stück konnten wir entdecken.
Leider endete unser Besuch jetzt sehr abrupt. Wie wir heraus fanden, ist das Fotografieren von Polizeistationen in Griechenland verboten. Im Hafen befanden sich an die 100 ihrer Motorräder. Offensichtlich hat die griechische Regierung Angst vor den Flüchtlingsaufständen und kämpfenden Hafenarbeitern. Ausdruck ihrer Nervosität war, dass sich immerhin 9 Polizeibeamte mit uns beschäftigten. Drei Stunden Aufenthalt in der Wache lösten sich erst nach dem Anruf bei unserem Rechtsanwalt und dessen Einschreiten auf.
Doch bei allen Schwierigkeiten, wir lernten viele neue Freunde und Verbündete für den gemeinsamen Kampf kennen. Und es zeigte sich abseits der großen Touristenattraktionen ein großes Potenzial, die Solidarität unter den Völkern zu stärken und gemeinsam zu kämpfen.